Werkzeug / Pinzetten

Bei einem Besuch in der Glashütte wurde in Ermangelung einer Gabel zum Kuchenessen ein Zwackeisen zweckentfremdet, es funktioniert wie eine Pinzette.

Der Glasmacher nutzt auch die Rückseite des Zwackeisens.

Erste Modelle aus Holzstäbchen, Metallblech und Klebeband im Test. 1.) klassische Pinzette 2.) lange Pinzette mit Gelenk in der Mitte 3.) Fingerverlängerung mit Holzstäbchen und Gummiband - Pinzettengriff

 

Für mein Projekt möchte ich ein Werkzeug gestalten, das sowohl Besteck als auch Instrument ist. Also die Verbindung einer explorativen Tätigkeit mit der Funktion der Nahrungsaufnahme. Wie und womit wir eine Speise aufnehmen beeinflusst die Wahrnehmung dessen, was wir essen: Mit Stäbchen zu essen kann für Unerfahrene zu einer echten Herausforderung werden und das Gefühl Pommes Frites mit den Fingern zu essen ist ein anderes als diese mit einer Gabel zum Mund zu führen, es fühlt sich vielleicht sogar falsch an.

In seinem Buch „Das Reich der Zeichen“ beschreibt Roland Barthes Eindrücke einer Reise nach Japan und unter anderem auch die Funktionsweise von Essstäbchen:

 

„Die Stäbchen haben weit mehr Funkionen als jene, die Speise vom Teller zum Munde zu führen (ja, diese Funktion ist nicht einmal charakteristisch, denn dieselbe Aufgabe erfüllen auch Finger und Gabeln), und diese weiteren Funktionen sind ihnen eigentümlich. Zunächst einmal haben die Stäbchen - ihre Form sagt dies bereits zur Genüge - eine deiktische Funktion: Sie zeigen die Nahrung, bezeichnen das Stück und verleihen - durch die Auswahlgeste schlechthin, das heißt durch den Index - Existenz“ Gleichzeitig bestehe eine weitere Funktion darin, Stücke einzuklemmen, jedoch nicht aggressiv, „ …denn die Speise erfährt nie mehr Druck als erforderlich“.

 

Damit dienen Stäbchen gewissermaßen auch als Messinstrument um die Konsistenz einer Speise zu prüfen, sie funktionieren wie eine Verlängerung unserer Finger, was wiederum die Assoziation mit dem Pinzettengriff und einer Pinzette hervorruft. Pinzetten (franz. pince - die Klammer, die Zange) dienen als Werkzeug zum Greifen kleiner Gegenstände, sie werden sehr universell überall auf der Welt eingesetzt zum Beispiel in der Kosmetik, im Labor oder in der Chirurgie. In Form von Zangen, die im Prinzip die gleiche Funkion haben, werden sie auch in der Küche (Grillzange, Nudelzange, Fingerfoodbesteck) eingesetzt. Eine Pinzette ermöglicht wie auch Stäbchen zunächst die Speise in ihre Einzelheiten zu zerlegen zu sehen, woraus es gemacht ist, dann einen Teil davon  zu wählen, seine Textur zu prüfen,  und schließlich zum Mund zu führen. Barthes beschreibt in Bezug auf Stäbchen:

 

„ …niemals sticht, schneidet, spaltet, verletzt das Stäbchen, es hebt nur auf, es wendet und bewegt. Denn zum Zweck des Zerteilens (dritte Funktion) trennt, zergliedert und schnitzelt das Stäbchen, statt zu schneiden und zu reißen, wie es unser Besteck tut; es verletzt die Lebensmittel nicht: entweder entwirrt es sie vorsichtig (wie es bei Kräutern geschieht), oder es löst sie in ihre Bestandteile auf (wie man es mit Fisch und Aal macht), indem es nach den natürlichen Spalten des Stoffs sucht (darin dem bloßen Finger weit ähnlicher als dem Messer).“

 

Der untersuchende, neugierige Kontext des Projekts wird in dem Objekt der Pinzette mit den ästhetischen und funktionalen Eigenschaften von Besteck kombiniert. Sie weist Gemeinsamkeiten mit Essstäbchen auf, zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie universell verständlich ist und jeder sie einfach handhaben kann. Die Pinzette kommt der natürlichen Nutzweise unserer Hände (dem Pinzettengriff) meiner Meinung nach näher als Messer und Gabel es je könnten.

 

 

Beide Zitate: Barthes, Roland,  „Im Land der Zeichen“, Seite 30-31, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981