In der vergangenen Woche habe ich mich mit der Herstellung von Essig auseinandergesetzt.
Was ist Essig?
Essig ist ein Produkt, das bei der Fermentation von Alkohol mithilfe von Essigbakterien und Sauerstoff entsteht. Diese Bakterien (Acetobacteraceae) können sich entwickeln, wenn alkoholhaltige
Getränke wie Wein oder Bier über längere Zeit offen stehen gelassen werden. Es bildet sich eine schleimartige, Fäden ziehende Masse, optisch vielleicht vergleichbar mit einer Qualle, am Boden der
Flasche - die sogenannte Essigmutter. Diese wird benötigt um Essig im Orléans-Verfahren herzustellen. Hierfür gibt es zahlreiche Anleitungen im Internet und sogar Onlineshops in denen man sich
eine solche Kultur bestellen kann.
Essig gehört zu einer der ältesten Zutaten der menschlichen Kochgeschichte, der Gebrauch kann bis zu 10.000 Jahre zurückverfolgt werden. Die von mir angestrebte offene Herstellung von Essig, das heißt in einem offenen Gefäß sich selbst überlassen, wurde vermutlich zufällig endeckt und dann weitererntwickelt.
Überblick zur Kultivierung von Essigbakterien mithilfe von Apfelessig:
Da ich es reizvoller fand den gesamten Prozess der Essigherstellung selbst zu gestalten und zu erleben, habe ich mich entschlossen eine Essigmutter zu kultivieren um damit später Essig herzustellen.
100ml ungefilterter/natürlich vergorener Apfelessig (hier sind die Essigbakterien nicht durch Erhitzen abgetötet worden, sie sind weiterhin aktiv)
100ml Wasser
2 EL Honig
Alle Zutaten mischen und in einem Glas an einen warmen Ort stellen. Das Glas sollte abgedeckt sein aber nicht luftdicht verschlossen, da die Bakterien Sauerstoff brauchen um sich zu vermehren.
Empfohlen wird, das Glas mit Watte zu verschließen, da so Sauerstoff eindringen kann, es aber für in der Luft befindliche Hefepilze schwerer ist in die Mischung zu gelangen. Nach etwa 1-2 Wochen
sollte die Essigmutter als schleimartige Substanz in der Flüssigkeit erkennbar sein.
Ausblick: Wie stelle ich Essig her?
Um Essig herzustellen, gibt man die Essigmutter in die Flüssigkeit die umgewandelt werden soll, dies kann prinzipiell jede alkoholhaltige Flüssigkeit sein. Generell wird aber empfohlen weniger
starke Flüssigkeiten zu verwenden, da der Säuregehalt des Essigs mit der Höhe des Alkoholgehalts zunimmt.
Was mich besonders an dem traditionellen Herstellungsverfahren reizt, ist der Gedanke, dass der Mensch in einer Art Symbiose mit den Bakterien lebt. Und dabei handelt man entgegen all seiner
antrainierten Vorstellungen von Nahrungsmittelherstellung in unserer westlichen Gesellschaft:
Man kultiviert eine schleimige, unansehnliche Masse von Bakterien, die danach (zum Beispiel) in einen guten Wein gegeben und an einen warmen Ort gestellt wird. Ich weiß mittlerweile, dass
Essigbakterien ungefährlich und essbar sind. Ich weiß, dass wenn meine Essigmutter anfängt zu arbeiten sich ein acetonartiger Geruch ausbreiten wird und, dass das ein gutes Zeichen ist. Aber ich
kann sehr gut nachvollziehen, dass eine quallenartige Substanz in einer alten Weinflasche auf die meisten abstoßend wirkt.
Bisher habe ich nur den Ansatz zur Zucht einer Essigmutter und nach 6 Tagen des Wartens ist leider noch nicht viel zu sehen, außer dass sich die im Honig befindlichen Blütenpollen am Boden des Glases abgesetzt haben, es riecht weiterhin nur nach Apfelessig. Mir stellen sich aber schon jetzt einige Fragen zu unserem Verhältnis zu Bakterien im Bereich der Nahrungsmittelherstellung.
Inwieweit ist die Angst vor Bakterien oder Schimmelpilzen ein Ur-Instinkt, der uns vor verfaulter Nahrung schüzt, wie viel davon ist "antrainiert"? Warum sind Schimmelpilze in Gorgonzola und
anderen Käsesorten akzeptiert und beliebt?
Reicht es zu wissen wie zum Beispiel Gärungsprozesse funktionieren um den Ekel/die Unsicherheit zu überwinden?
Wie können Gefäße den Prozess unterstützen? Können Gefäße die Optik des Zersetzungsprozesses positiv beeinflussen und damit auch die negativen Gefühle, die diesem oft entgegengebracht werden? Wie sieht so ein Gefäß aus?
Quellen:
Pollan, Michael "Kochen - eine Naturgeschichte der Transformation", Antje Kunstmann Verlag, München 2014
San Chiang Tan: Vinegar Fermentation. (PDF) Master’s Thesis. Louisiana State University 2005
http://www.alles-essig.de/ (Stand November 2015)